Eccentric Dances
Produktion und Choreographie: Rose Breuss
Tanz: C.O.V./ Cie. Off Verticality >>>
Paweł Duduś, Andrea Maria Handler, Tamara Kronheim, Martyna Lorenc,
Rafał Pierzyński, Aureliusz Rys, Rosalie Wanka
Musik: Claudio Monteverdi u.a.
Gefördert vom Land Oberösterreich, der Stadt Linz und der
Anton Bruckner Privatuniversität Linz
Watch video (Perf. Feldkirch) >>>

Paweł Duduś, Rafał Pierzyński

Rafał Pierzyński, Andrea Maria Handler
Der Tanz bezieht sich auf eine Auswahl von Renaissanceliedern, die verschiedene Momente der Orpheuserzählung repräsentieren.
Die Choreographie und der Tanz spüren den Orpheusmythos in der Musik, in der Expressivität des Gesanges und in den Liedtexten auf.
Es sind Augenblicke, vielleicht drei Augenblicke, die den Verlauf der Orpheuserzählung bestimmen.
Augenblick 1
Ein Schlangenbiß, der erfolgt als Eurydice auf saftigen Wiesen spielt. Köstlich sind die Texte der Renaissancelieder dazu, Eurydice spielt gleichsam in Arkadischen Landschaften mit Blumenwiesen, sonnenumflutet, schattige Wälder und liebliche Düfte...
Der Augenblick: Lachen der Mädchen nymphisch.
Augenblick 2
Der Zugang zur Unterwelt wird von Orpheus flehentlich weinend erwirkt. Orpheus schlägt nicht, er singt und Charon der den Zugang zur Unterwelt bewacht, schläft ein. Orpheus setzt über den Fluß, um zu Eurydice in die Unterwelt zu gelangen.
Der Augenblick: Der flehende Mann christologisch Passion der Hingabe im männlichen Körper eingeschrieben.
Augenblick 3
Dann gerät die Geschichte ins Schleudern, in viele Versionen durch die Zeiten hindurch: Hat sich Orpheus umgedreht oder Eurydice ihn dazu bewogen? Wollte Eurydice gar nicht aus der Unterwelt weg?
Der Augenblick: Der Orpheusmythos mit dem unsicheren Ausgang wird in den Himmel als Sternbild verbannt. Wir wiederholen unter dieser Konstellation die Momente der Geschichte weiter wie unter ungelösten Fragen zu den Themen Jugend, Liebe und Tod?
Exzerpiert wird aus der Orpheuserzählung keine pantomimische Darstellung. Der Tanz richtet sich auf die Musik, auf die Texte der Lieder, auf die Passionen, auf das physische Spüren der Erzählung.
Lachen und Weinen prägen die musikalischen und tänzerischen Momente der Orpheuserzählung.
Ins Lachen wir man hineingerissen, plötzlich erfolgt die Bewegung, ins Ausatmen. Ins Weinen lässt man sich fallen. Weinen als Zustand ist ein Hingeben, ins Einatmen hinein - Die Tänzer und Tänzerinnen tanzen aus dem Weinen und Lachen heraus, das Zusammenspiel der Tänzer und TänzerInnen erfolgt wie im gegenseitigen Erzählen:
Jemand lacht alle lassen sich anstecken jemand weint, jemand anderer hat etwas noch schlimmeres alles steigert sich, spielt ineinander.
Orpheus ist also ein aktueller Mythos über das Bewegen können, in Bewegung versetzen können!
Etwas, das immerzu stattfindet.

Paweł Duduś, Rafał Pierzyński
Notationen Eccentric Dances 1>>>, 2>>>, 3>>>
Eccentric Dances - Materialien zur Choreographie:
Der Mensch fällt ins Lachen und lässt sich ins Weinen fallen.
Unbeherrscht und eruptiv sind diese Vorgänge.
Lachen und Weinen zeigen die Spannung auf, in der wir zu unserer physischen Existenz leben, an den Körper sind wir ganz und gar gebunden.
Der menschliche Körper ist zugleich gegenständlich und zuständlich.
Die Doppeldeutigkeit erfasst den Körper als Werkzeug, als Mittel und Ausführungsorgan wie auch als Spiegelfläche und Resonanzboden, Ausstrahlungsfläche für Emotionen.
Im Lachen und Weinen übernimmt der Körper den Menschen angesichts einer ihm ganz und gar unverständlich scheinenden Situation. Lachen und Weinen sind Modi, die den Menschen in seinen Körper fallen lassen. Sie fangen ihn dort auf, sein physiologischer Mechanismus springt im Lachen und Weinen angesichts des Kontroll- und Orientierungsverlustes ein.
Geöffnetsein, Unvermitteltheit, Eruptivität charakterisieren das Lachen
Verschlossenheit, Vermitteltheit, Allmählichkeit das Weinen.
Lachen akzentuiert das Ausatmen, Weinen das Einatmen.
Lachen und Weinen sind ein Tanz.
Der Tanz vermittelt die physische Bedingtheit einer heutigen Welt.
Kontrollverlust charakterisiert unsere zivile Welt.
Die Frage nach dem Verbleib des Menschen, nach seinem physischen Überleben stellt sich angesichts einer zivilen Welt, deren Mechanismen lachhaft und zum Weinen sind.
Der Tanz spürt diese Gefahren auf, zeigt sie unmittelbar ausgedrückt in der Physis der TänzerInnen und zieht exzentrische Kreise. Bitterkeit und Süße charakterisieren Lachen und Weinen.
Die menschliche Physis sie generiert die Potentiale des Menschen.
Das Display der Choreographie:
Physiologische Gesetzmäßigkeiten als choreographisches Display:
Tierische Vitalsphäre Lachen und Weinen Renaissancelieder Bitterkeit und Süße Expressivität
Die Vitalsphäre des Tieres
Laufen Springen, Sitzen, Liegen, Greifen, Angreifen, Fliehen, Ruhen, Warten, Lauern.Wie das Tier bewohnt der Mensch eine Umgebung. Das Tier ist aber immer darin zentriert. Der Mensch kann exzentrisch sein. Durch seine Aufrichtung blickt er weit und seine Hände sind frei.
Was banal erscheint, ist dennoch in der Physis des Menschen grundgelegt. Wir bewegen uns zentrisch als Körper zwischen den Gegenständen unserer Umgebung und können uns außerhalb aller Bedingungen finden, erfinden.
Ist das Leben des Tieres zentrisch, so ist das Leben des Menschen, ohne die Zentrierung durchbrechen zu können, zugleich aus ihr heraus, exzentrisch. Exzentrizität ist die für den Menschen charakteristische Form seiner frontalen Gestelltheit gegen das Umfeld. (Pleßner)
Daß der Mensch Physis hat, physisch ist und gleichzeitig sich von außen betrachten kann, markiert seine Exzentrizität.
Exzentrisch arbeitet auch die Muskulatur des Menschen.
Sie ermöglicht ein zeitlich kontrolliertes ausgedehntes Strecken. Die Bewegung zurück wird akzentuiert und schafft ein eigenartig verschoben akzentuiertes Bewegungsmaterial.
Muskulatur
konzentrisch
(positiv-dynamisch, überwindend)
Die intramuskuläre Spannung ändert sich und die Muskeln verkürzen sich.
Nähern sich Ursprung und Ansatz des Muskels an und verkürzt sich dabei der Muskel, spricht man von konzentrischer Muskelarbeit.
(Beispiel Klimmzug: Um den Körper an der Reckstange hochzuziehen, muss der Oberarm gebeugt werden. Der Bizeps arbeitet konzentrisch.)
exzentrisch
(negativ-dynamisch, nachgebend)
Es kommt zu Spannungsänderungen und Verlängerung/Dehnung der Muskeln.
Lachen und Weinen
Die Tänzer und Tänzerinnen experimentieren mit Lachen und Weinen als physiologischem Vorgang.
Als Zustand und einer den Vorgängen innewohnenden Dramaturgie generieren sie ein Bewegungs Gestenvokabular. Dieses wird den Sphären des Überlebens/Lebens (siehe Vitalsphären) angepasst.
Springen, Laufen, Sitzen, Liegen ... werden als Bewegungsrahmen dem erfundenen Gestenmaterial gemäß modifiziert.
Sich fallen lassen, angesteckt werden, überwältigt werden, geschüttelt werden, Vorgänge die im Lachen und Weinen stecken, werden als Bewegungsform und als Übergreifen der Bewegungen von einem zum anderen Tänzer gestaltet.
Renaissancemusik
Warum Renaissance?
Die Kunst der Renaissance simuliert Antike, Nachleben der antiken Mythologien, transferiert Zeiten und Ausdrucksformen.
Sie überliefert in verschobenen Bildgebungen den originären menschlichen Ausdruck. Was in der antike Nymphe ist, wird in der Renaissance Maria Magdalena beispielsweise
Es geht also weniger um die Figur an sich als um die Figur und den Wandel der Figuren als Träger menschlichen Ausdrucks.
Zeit und Zeitlosigkeit können in der Choreographie durch einen alten Rahmen thematisiert werden.
Bitterkeit und Süße
Seelische Vorgänge werden oft mit Geschmacksempfindungen in Verbindung gebracht. Unsere Geschmackssinne sind äußerst differenziert und eignen sich deshalb für Metaphern.
Sie simulieren Qualitäten und Körpergefühle, die sich als subtile Spannungen in das Bewegungsvokabular der Gesten der Positionierungen einarbeiten lassen.
(Tränen sind bitter oder süß, Lachen ist bitter oder süß usw....)
Die Tänzer eröffnen diese Wahrnehmungen, diese Physiologien des Menschlichen, die menschliche Physis, sie verdichten sie was der Verstand nicht packt zu einer Expressivität, die wie Sprache, durch die Sprache hindurch, jenseits der Sprache selbstverständlich existiert.
Expressivität ist eine ursprüngliche Weise damit fertig zu werden, daß man einen Leib bewohnt und zugleich ein Leib ist. (Pleßner)
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